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Tag 7: Ambivalenzen

Gestern Abend hatte sich noch unser alter Bekannter und Freund José Mayo gemeldet. Er kam heute Morgen von einem Arztbesuch in Loja zurück und fragte, ob wir gemeinsam frühstücken wollten. Das taten wir nur zu gerne. So trafen wir uns früh morgens in der nagelneuen Markthalle von Palanda. Für mich gab es eine Nudelpfanne mit Fisch und einen frisch gepressten Papaya-Möhrensaft. 

José schlug uns vor, auf unserem heutigen Weg nach Süden zur Partnerkooperative ACRIM an seiner Finca vorbeizufahren, er hat dort neuen Kaffee anpflanzt. Wir stimmten freudig zu, auch wenn dies eine dreieinhalbstündige Fahrt über Feldwege statt 80 Minuten auf der überwiegend asphaltierten Straße bedeutet. 

Angekommen auf seiner Bullerbü-Finca ecuadorianischer Stilistik (es sieht nach kompletter Selbstversorgung aus: Er hat Gemüse, Milchvieh, Schweine, Hühner, Enten, Gänse, Tilapia, Zuckerrohr,  Mais, Kakao, Kaffee, Getreide, Obstbäume und viel Wald sowie einen Trinkwasserfluss, der sein Grundstück durchfließt) wurden wir erstmal mit Zuckerrohrsaft, Käse, Honig, Obst und einer Hühnersuppe bewirtet. 

Danach besuchten wir die Fläche seines neuen Kaffeeanbaus. José verwandelt hier vier Hektar ökologisch fast nutzlosen Weidelandes in ein Kaffeefeld, das binnen zwei bis drei Jahren wie ein Wald aussehen und Lebensraum für allerlei Tiere bieten wird. Schon jetzt konserviert José auf dem Nachbargrundstück eine Fläche für Hörnchen und eine weitere Fläche für kleine Affen. Die bereits gepflanzten 15.000 Kaffeepflanzen sind allesamt sehr hochwertige Varietäten. Der Kaffee wird komplett nach ökologischen Kriterien angebaut. Komplett bis auf eine Tatsache. Um sich mehrjährige Arbeit zu ersparen, wurde das komplette Weidegras mit Glyphosat vernichtet. José sagt, dass er ohne dieses Hilfsmittel das ganze Projekt nicht angegangen wäre. Die nächsten drei Jahre kann der Kaffee somit nicht als ökologischer Kaffee vermarktet werden und kommt für uns daher auch nicht in Frage. 

Nach diesem Besuch ging es 90 Minuten weiter nach Süden zu unserer Partnerkooperative ACRIM, wo uns unsere Freunde schon erwarteten. Nach der Verkostung von mehreren sehr hochwertigen Lots von Walter Castillo und Luz Merino begannen wir unsere Versammlung. 

Dabei zeigten sich zwei wesentliche Herausforderungen. Die Genossenschaft ist stark unter Druck, da der ehemalige Verwalter Hitler Vicente nun für einen großen Zwischenhändler Kaffee von den Produzenten der Genossenschaft versucht aufzukaufen. Er besucht mit seinem durch langjährige Arbeit in der Genossenschaft erworbenem Insider-Knowhow der Reihe nach alle besonders guten Mitglieder der Genossenschaft und bietet ihnen höhere Preise als die Genossenschaft dies kann. Dies ist vor allem möglich, weil er als Firma keinerlei soziale Aufgaben oder Schulungen übernimmt und keinerlei laufende Kosten hat. Er ist nur Zwischenhändler. Jedes Mitglied der Kooperative, das Kaffee an ihn verkauft steht also vor dem Dilemma: Bin ich solidarisch zu meiner eigenen Organisation oder ist mir mein Hemd näher als meine Hose. Das sorgt für sehr viel Unmut und Zwietracht in der Genossenschaft und auch für Wut auf Vicente. 

Die andere Herausforderung hat auch mit uns zu tun. Immer mehr Mitglieder, insbesondere die Jugendlichen und die gut ausgebildeten produzieren immer mehr besonders hochwertige Kaffees. Für diese Kaffees gibt es für die kooperative Struktur so gut wie keinen Markt. Also werden sie an Aufkäufer und Zwischenhändler für Spezialitätenkaffee abgegeben. Diese sind in der Lage und willens, höhere Preise zu bezahlen. Die Kooperative hat einerseits zu wenig Käufer, die sich für diesen Kaffee interessieren und andererseits auch keinerlei Strukturen wie sie diesen Kaffee gerecht bezahlen kann. Das bedeutet: Was für einen Anteil des Mehrwertes bekäme die Kooperative für ihren Aufwand und was für einen Anteil die einzelnen ProduzentInnen? Dies ist definitiv eine Diskussion, die in der Kooperative noch aussteht. Auch für uns als Quijote Kaffee ist das von Bedeutung. Für uns käme der Kauf von Microlots nur in Frage, wenn es einen gerechten Schlüssel gäbe, wie der Mehrwert von besonders hochwertigem Kaffee zwischen Genossenschaft und Produzent verteilt wird. Darüber hinaus müsste die Kooperative lernen, diese einzelnen lots mit jeweiligen Informationen zu den Produzierenden, der Verarbeitung, den Varietäten und den Fincas zu versehen. Am besten wären dazu kurze Videos und gute Fotografien mit einer kurzen Story und eventuelle weitere Besonderheiten des Produktes. 

Sehr gute Neuigkeiten gab es hier auch in Bezug auf die Erfüllung der EUDR-Regularien. Die ACRIM ist anscheinend noch weiter fortgeschritten mit der Vorbereitung darauf als alle anderen Basisorganisationen. 

Insbesondere hervorzuheben sind auch die Aktivitäten der wieder aufgelebten Jugendorganisation und die herausragend aktive Frauenorganisation der Genossenschaft. Unsere Freundin Yolanda ist deren Vorsitzende und ist voller Power und Ideen für eine eventuelle gemeinsame Linie von Frauenkaffees. 

Die meist besonders hochwertigen Kaffees der jugendlichen ProduzentInnen haben noch ein eigenständiges weiteres Vermarktungsproblem. Da die Genossenschaft ausschließlich zertifizierte Biokaffees verarbeitet und vermarktet, fallen die Kaffees ist der Jugendlichen raus. Sie haben meist keine Landtitel und diese wiederum sind Voraussetzung für die Bio-Zertifizierung. Der Kaffee wird komplett ökologisch angebaut, wirklich alles stimmt, er ist trotzdem nicht offiziell Bio und kann es auch nicht sein. Ich würde diesen Kaffee nur zu gerne haben. Nun geht er einfach an lokale Aufkäufer jeglicher Art.

Wie ihr seht, ist unsere Art des Kaffeehandels mit all seinen Utopien und Idealen nicht immer leicht. Er steckt voller Widersprüche. 

Und ihr könnt mir glauben: nach so einem intensiven Tag würde ich sehr gerne eine Flasche Rum trinken. Meine Gedanken und Überlegungen Kreisen noch schneller als sonst schon in meinem Kopf. Diese Reise ist aber so anstrengend und anspruchsvoll, dass ich tatsächlich auf Alkohol verzichte.